Dokumente aus dem Kaiserreich – Eine Zeitkapsel vom Marktplatz in Weißenfels aus dem Jahr 1897

Die Zeitkapsel aus dem Fundament der Reiterstandbilds von Kaiser Wilhelm I. vom Marktplatz in Weißenfels. Zu sehen ist der Zustand nach der archäologischen Bergung und vor der Öffnung in der Restaurierungswerkstatt des Landesmuseums für Vorgeschichte. © Heiko Breuer, LDA Sachsen-Anhalt

 

Die folgende Pressemitteilung steht Ihnen hier als PDF zum Download zur Verfügung.

Seit März 2017 finden Bauarbeiten zur Neugestaltung des Marktplatzes in Weißenfels (Burgenlandkreis) statt. Diese Arbeiten werden von umfangreichen archäologischen Untersuchungen durch das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt begleitet. Bisher wurden mehr als ein Dutzend Bodeneingriffe dokumentiert, in denen sich Befunde zur mehrhundertjährigen Geschichte des Marktplatzes zeigten. So war an verschiedenen Stellen die erste, um 1550 durch Herzog August von Sachsen angeordnete Pflasterung des Marktplatzes erhalten. Diese Pflasterung bildet eine wichtige chronologische Marke für die Einordnung der weiteren darunter beziehungsweise darüber liegenden Befunde.

Neben Resten der Infrastruktur (Teile einer Holzwasserleitung, Brunnen, Beleuchtungsanlagen) kam bei den aktuellen Bauarbeiten auch das Fundament des ehemals auf dem Marktplatz vorhandenen Reiterdenkmals von Wilhelm I., Deutscher Kaiser von 1871 bis 1888, zum Vorschein.
Die Grundsteinlegung für das Denkmal fand am 22. März 1897 statt. Die Finanzierung erfolgte zu einem großen Teil aus Spenden der Weißenfelser Bürger. In der Folge wurde ein Gestaltungswettbewerb ausgeschrieben, den der Bildhauer Ernst Wenck aus Berlin gewann. Am 18. August 1900 wurde das Denkmal feierlich eingeweiht, in Gegenwart des Prinzen Friedrich Heinrich von Preußen als Vertreter Kaiser Wilhelms II., dem Enkel des mit dem Reiterstandbild Geehrten.
Aus dem Fundament des Denkmalsockels konnte die heute präsentierte Zeitkapsel geborgen werden, die seinerzeit bei der Grundsteinlegung eingebracht worden war. In ihr befanden sich neben zwei Ausgaben der Weißenfelser Zeitung weitere gedruckte Schriftstücke. Dabei handelt es sich um ein Adress- und Geschäftshandbuch der Stadt Weißenfels von 1896/97, einen Magistratsbericht der Stadt aus dem Jahre 1895/96 und um einen Etat der Stadt für das Jahr 1896/97. Zudem enthielt die Zeitkapsel vermutlich einige Fotos, die nicht mehr erhalten sind. All dies befand sich in einer Metallschatulle, die in einer Sandsteinkiste lag. Diese Kiste war wiederum in einer aus Ziegelsteinen gemauerten Nische innerhalb des Betonfundamentes platziert. Sowohl der Steinmetz, der Zinngießer und auch der Stadtbaumeister sind in diesem Ensemble durch Namensinschriften bezeugt.

Trotz der sehr aufwändigen Niederlegung in verschiedenen Behältnissen war der Inhalt der Zeitkapsel den äußeren Einflüssen, vor allem durch Nässe, ausgesetzt. So bedurfte es intensiver restauratorischer Arbeiten, um die völlig durchfeuchteten Papiere per Gefriertrocknung zu sichern, zu vereinzeln und in einen stabilen Zustand zu überführen. Nur dadurch gelang die Identifizierung der einzelnen, oben genannten Zeugnisse. Der Befund ist ein sehr seltenes zeithistorisches Dokument und bildet im Zusammenhang mit den für Errichtung des Denkmals angelegten überlieferten Akten ein eindrucksvolles Zeugnis der jüngeren Stadtgeschichte Weißenfels.

Bereits 1901, also nur ein Jahr nach der Einweihung, mussten am Denkmal weitere Arbeiten durchgeführt werden. Aufgrund der rußigen Luft in der Stadt bildete sich am bronzenen Reiterstandbild nicht die gewünschte Patina. Eine entsprechende Nachbehandlung der Oberfläche war daher nötig.

Das Kriegsende und der politische Systemwechsel nach 1945 hatten auch unmittelbare Folgen für das Reiterstandbild. Während der russische Stadtkommandant 1946 strikt gegen die Entfernung des Denkmals war, stimmte sein Nachfolger 1949 den Abrissplänen der örtlichen SED zu.
Am Internationalen Frauentag 1949, dem 8. März, rückte eine Jugendbrigade der FDJ mit einem Fahrzeug auf den Marktplatz an. Die Füße des Bronzepferdes wurden durchgetrennt und das Standbild mit Hilfe des Fahrzeugs vom Sockel gezogen. Anschließend wurde es durch die Straßen der Stadt zur Eisengießerei in der Großen Deichstraße geschleift und später eingeschmolzen. Die beiden Reliefplatten vom Denkmalsockel wurden jedoch gerettet und dem Stadtmuseum zur Verfügung gestellt. Sie sind dort erhalten.

 

Kontakt:

Dr. Alfred Reichenberger
Tel. 0345 / 52 47 -312
areichenberger(at)lda.stk.sachsen-anhalt.de

Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt –
Landesmuseum für Vorgeschichte
Richard-Wagner-Str. 9
06114 Halle (Saale)